Diagnose Multiples Myelom: Wenn bei Krebs die Psyche Hilfe braucht

Veröffentlicht am: 13. März 2023
Diagnose Multiples Myelom: Wenn bei Krebs die Psyche Hilfe braucht
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„Knochenmarkkrebs“ – diese Diagnose ist für viele Patient*innen ein Schock. Jedes Jahr erkranken in Deutschland etwa 2.900 Frauen und 3.600 Männer am Multiplen Myelom (MM), der zweithäufigsten Form von Blutkrebs.1 Das Myelom ist im Gegensatz zu vielen soliden Krebserkrankungen, die in frühen Stadien durch eine OP geheilt werden können, chronisch. Auch nach einem Rückgang müssen sich Betroffene auf eine Rückkehr der Erkrankung, ein sogenanntes Rezidiv, und auf eine erneute Behandlung einstellen.

Dank intensiver Forschung lässt sich die Krankheit immer besser in Schach halten, kann allerdings noch nicht geheilt werden. Für viele Patient*innen eine große Belastung. Wir widmen uns daher im MM-Aktionsmonat März der Unterstützung von Patient*innen. Prof. Dr. med. Imad Maatouk, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uniklinik in Würzburg, erklärt im Interview, welche Folgen eine MM-Diagnose für die Psyche haben und welche Hilfe die Psychoonkologie bieten kann.

Prof. Dr. med. Imad Maatouk ist Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Uniklinik in Würzburg.

Prof. Maatouk studierte Humanmedizin in Göttingen und Paris. Bereits vor seinem Studium interessierte er sich für die Zusammenhänge zwischen psychischen, körperlichen und sozialen Begebenheiten. 2007 startete er als Assistenzarzt an der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik in Heidelberg. Er ist Facharzt für Innere Medizin, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und seit 2019 Professor am Universitätsklinikum Würzburg. In dieser Funktion leitet er auch den Schwerpunkt Psychosomatik, Psychotherapie und Psychoonkologie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Würzburger Uniklinikums.

Prof. Maatouk, das Multiple Myelom ist ein unheilbarer Knochenmarkkrebs. Wie kann sich diese Diagnose auf die Psyche auswirken?

Grundsätzlich gehen Patient*innen mit der Diagnose unterschiedlich um. Ein Teil der Patient*innen ist natürlich erst einmal geschockt und entsprechend belastet. Wir müssen dabei auch bedenken, dass vor der Krebsdiagnose oft schon eine Phase vorausgegangen ist, in der viel Unklarheit herrschte. Zunächst gibt es Auffälligkeiten durch den Hausarzt oder die Hausärztin, dann wird man an Fachärzt*innen überwiesen, bis dann irgendwann eine klare Diagnose steht. Das sind Vorerfahrungen, die eine große Rolle im Umgang mit der Diagnose spielen.

Meistens kommt die Frage nach dem Warum auf und die Suche nach einer Erklärung. Das ist für die Bewältigung wichtig und erleichtert es den Betroffenen, die Diagnose anzunehmen. Es geht dabei nicht nur um die Angst, das Leben zu verlieren, sondern auch um Angst vor potenziellen Nebenwirkungen der Therapien.

Wichtig ist das Umfeld. Eventuell gibt es Vorgeschichten in der Familie, die prägend sind, oder einen Arzt, der mit einer guten Beratung zur Seite steht. Auch eigene Erfahrungen spielen eine Rolle. Die meisten Patient*innen können allerdings auf einen Bewältigungsmodus umschalten.

Multiples Myelom (Knochenmarkkrebs)(2)

Definition

  • Das Multiple Myelom ist die zweithäufigste hämatologische Krebserkrankung weltweit. Es handelt sich um eine Krebserkrankung der Antikörperbildendenden Plasmazellen (weiße Blutkörperchen).
  • Plasmazellen kommen vor allem im Knochenmark vor und sind ein wichtiger Bestandteil unseres Immunsystems. Bei einem Multiplen Myelom sind diese Zellen geschädigt und vermehren sich rasch und unkontrolliert.
  • Geschädigte Zellen verdrängen das funktionsfähige Knochenmark und produzieren funktionslose Antikörper.
  • Vermehrung der Plasmazellen vermindert die Bildung von anderen, gesunden Blutzellen.

Symptome

  • Andauernde sowie wiederkehrende Schmerzen in den Knochen sowie Knochenbrüche
  • Wiederkehrende Müdigkeit aufgrund von Blutarmut und Nierenversagen
  • Wiederkehrende, ungeklärte Infektionen wie beispielsweise eine Lungenentzündung
  • Kurzatmigkeit oder Nachweis eines Herz- oder Nierenversagens

Was raten Sie MM-Patient*innen in Remission, die Angst vor dem Fortschreiten der Krankheit haben?

Wir empfehlen den Patient*innen grundsätzlich, regelmäßige Beratungsgespräche in Anspruch zu nehmen mit Menschen, mit denen sie eine gute Basis finden. Das kann helfen, sich den Ängsten zu stellen und einen Umgang mit der Situation zu finden.

Im Allgemeinen können wir festhalten, dass trotz des anfänglichen Schocks die meisten Patient*innen zu Beginn der Behandlung hoffnungsvoll sind. Die Erstdiagnose ist häufig mit guten Therapiemöglichkeiten verbunden und viele Patient*innen wollen zusammen mit ihrem medizinischen Fachpersonal als Team die Erkrankung bezwingen. Erst später fällt manchen Patient*innen auf, welche Veränderungen die Erkrankung mit sich bringt. Chronische Müdigkeit, also Fatigue, oder verringerte Leistungsfähigkeit tritt bei vielen Patient*innen auch in der Remission auf. Diese Veränderungen muss man akzeptieren und das ist ein Lernprozess.

Daneben spielt die sogenannte Progredienzangst, also die Angst vor einem Fortschreiten oder vor der Rückkehr der Erkrankung, eine große Rolle. Die Zeit kurz vor Untersuchungsterminen ist meistens besonders belastend. Sich diese Angst einzugestehen und sich dieser zu stellen, ist ein erster Schritt, der vielen Patient*innen sehr schwerfällt. Kommt es zu einem Rezidiv, ziehen sich einige Patient*innen weiter zurück. Hier können ein professionelles Beratungsgespräch, aber auch der Austausch mit dem eigenen sozialen Umfeld eine wichtige Hilfestellung sein. So überwinden die meisten Betroffenen die psychische Belastung der Krankheit aus eigener Kraft heraus in Kombination mit Unterstützung von außen, zum Beispiel das eigene Umfeld oder Fachpersonal.

Leben mit Multiplem Myelom

Ernst erhielt die Diagnose Multiples Myelom mit 70 Jahren. Das erste Anzeichen für den Knochenmarkkrebs war Kurzatmigkeit. Nach der Diagnose erhielt Ernst eine Chemotherapie und eine autologe Stammzelltransplantation – mit gutem Erfolg. Sechs Jahre lebte er ohne Rezidiv, bis die Blutwerte wieder auffällig wurden. Bei jedem Rückfall muss seine Therapie angepasst werden. Wie Ernst mit der Erkrankung umgeht und sein Ziel verfolgt, einen Teil des Jakobswegs zu schaffen.

Was können Warnsignale für eine Depression bei den Patient*innen sein?

Klassische Symptome einer Depression, die in Fragebögen abgefragt werden können, sind ständige Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder auch keine Freude mehr an Dingen, die einem früher Spaß gemacht haben. Zum Beispiel ein Spaziergang oder ein bestimmtes Hobby, dem man nachgegangen ist, um den Kopf frei zu kriegen. Auch der Austausch mit Freunden lässt häufig nach. Somit können Patient*innen in ihren Gedanken feststecken.

Ein weiteres wichtiges Symptom ist eine starke Schlafstörung. Damit sind sowohl Einschlafprobleme, frühes Aufwachen oder nächtliches Wachliegen gemeint. Solche Auffälligkeiten können Anzeichen für eine Depression sein.

Wie können Patient*innen ohne lange Wartezeiten psychologische Unterstützung bekommen?

Es gibt unterschiedliche Zugangswege. In zertifizierten Zentren haben wir den Standard, dass alle Patient*innen gescreent werden. Dabei werden Fragebögen durchgearbeitet, um eine mögliche psychische Belastung auszuschließen oder festzustellen. Sobald es Auffälligkeiten gibt, wird automatisch ein Beratungsgespräch angeboten, um der Vermutung weiter nachzugehen, das grundsätzliche Bedürfnis nach Beratung abgefragt und über weitere Möglichkeiten der Unterstützung informiert.

Dann gibt es den Weg, den ich am meisten schätze, nämlich über die primären Behandler*innen, also die Onkolog*innen. Sie haben ein Gespür für die Betroffenen und können gut einschätzen, wie hoch die Belastung sein könnte und ob es weiterer Hilfe bedarf. Falls dem so ist, werden Patient*innen auf die Möglichkeit einer psychoonkologischen Beratung hingewiesen.

Das sind häufig sehr treffsichere Zuweisungen und wir machen gute Erfahrungen damit. Und dann gibt es natürlich die Möglichkeit, als Betroffener oder Angehöriger aus eigenem Antrieb heraus mit dem Arzt oder der Ärztin des Vertrauens zu sprechen und nachzufragen. Besteht ein hoher Bedarf, werden Patient*innen normalerweise innerhalb von ein bis zwei Wochen entsprechende Termine ermöglicht.

Podcast: Multiples zum Myelom mit Leo Rasche

In dem Podcast beleuchten Dr. Leo Rasche und seine renommierten Gäste unterschiedliche Facetten des Multiplen Myeloms. In der aktuellen Folge sprechen Dr. Rasche und Prof. Maatouk darüber, wie die Myelomtherapie und Psychoonkologie Hand in Hand gehen.

Was können Patient*innen zusätzlich zu einer psychoonkologischen Therapie für ihr mentales Wohlbefinden tun und wie können Angehörige bestmöglich unterstützen?

Die Psychoonkologie sollte als ein Baustein von Vielen betrachtet werden. Zum Beispiel körperliche Aktivität, ein gesünderer Lebensstill, das Rauchen aufgeben oder verringerter Alkoholkonsum sind zusätzliche Lebensmodifikationen, die der allgemeinen Gesundheit guttun. Neben einem positiven Effekt auf die Psyche der Patient*innen kann sich das auf den gesamten Körper positiv auswirken.

Angehörige sollten stets ein offenes Ohr haben, damit Betroffene, sobald sie das möchten, jederzeit in den Austausch gehen können. Überfürsorge ist nicht immer das Passende. Natürlich ist der Umgang so individuell wie die Patient*innen selbst, aber allgemeine Kommunikationsregeln zu beachten, kann sehr hilfreich sein. Also nicht in der Du-Form, sondern aus der eigenen Perspektive Themen ansprechen. Wichtig ist es, im Dialog zu bleiben, damit kein Kopfkino entsteht, das dann zu einer Hürde im Miteinander führen könnte. Wichtig ist noch zu erwähnen, dass Familie, Freunde oder Bekannte auch an der psychoonkologischen Betreuung teilnehmen können, jedoch nur, wenn das die Patient*innen auch wünschen. Zunächst steht hier nämlich der oder die Betroffene im Fokus und es soll ein vertraulicher Rahmen geschaffen werden.

Gibt es von Ihrer Seite noch etwas Wichtiges, was wir jetzt noch nicht angesprochen haben?

Im Prinzip möchte ich alle Patient*innen ermuntern, sich über Beratungsmöglichkeiten zu informieren, Tipps beim Arzt seines Vertrauens einzuholen und sich damit auseinander zu setzen, wie man mit der Krankheitssituation umgehen kann. Dies empfehle ich auch, wenn sie psychisch nicht zu stark belastet sind.

Wissen macht stark – Mehr Wissen beim MM

Wissen macht stark – Mehr Wissen beim MM

Das Multiple Myelom ist die zweithäufigste hämatologische Krebserkrankung. Dennoch ist diese Form des Knochenmarkskrebs kaum bekannt. Das möchten wir ändern. Mit medizinischen Hintergrundinformationen zu Symptomen, Ursachen, Krankheitsverlauf und Therapieoptionen, konkreten Anlaufstellen und Erfahrungsberichten von Betroffenen.

Eine Initiative für Menschen mit Multiplem Myelom, ihre Angehörigen und jeden, der dabei helfen möchte, über die Krebserkrankung aufzuklären. Denn zu spüren, dass man nicht allein ist, macht stark. Neue Motivation zu finden, macht stark. Wissen macht stark. Mehr Informationen finden Sie hier.

Dem Krebs die Stirn bieten

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zählt Krebs derzeit noch zu einer der häufigsten Todesursachen weltweit. Und mit der immer älter werdenden Bevölkerung nimmt leider auch die Zahl der bösartigen Tumorerkrankungen kontinuierlich zu. Dementgegen stehen allerdings die immer bessere Früherkennung sowie viele innovative Therapien, die zu einer erfolgreichen Bekämpfung der Erkrankung beitragen. So muss die Diagnose Krebs heute nicht zwangsläufig zum Tod führen.

Weitere Informationen

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Referenzen

1) https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/multiples-myelom/@@guideline/html/index.html (letzter Abruf am 10.02.2021)
2) https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/2022-08-09_PLL_Multiples_Myelom_Konsultationsfassung.pdf (Letzter Zugriff: 21.02.2023)

MAT-DE-2300852-1.0-03/2023