Multiples Myelom: Bewegung kann die Knochen stärken

Veröffentlicht am: 16. September 2024
Mann und Frau im höheren Alter laufen durch einen Park.
istock / IPGGutenbergUKLtd
Eine Krankheit, bei der Krebszellen den Knochen schädigen, mit Folgen bis hin zu Schmerzen und Brüchen – und dann eine Bewegungstherapie? Was erst einmal erstaunlich klingt, ist bei der Blutkrebserkrankung Multiples Myelom eine anerkannte Ergänzung der medizinischen Behandlung. Anlässlich des Blutkrebs-Awareness-Monats September haben wir mit dem Sportwissenschaftler Professor Freerk Baumann darüber gesprochen, wie Bewegung Patient*innen trotz aller Einschränkungen optimal bei ihrer Therapie unterstützen kann. Er sagt: „Der größte Fehler beim Bewegen? Es nicht zu tun!“

Ein aktives Leben bedeutet für viele Krebspatient*innen, ein Stück Kontrolle über den eigenen Körper zu bewahren. Bewegung kann nicht nur helfen, schwierige Zeiten zu überstehen, sondern auch, um einmal abzuschalten. Vor allem aber kann eine angemessene Bewegungstherapie die Behandlungserfolge unterstützen – sogar bei einer Krebserkrankung wie dem Multiplen Myelom, bei der die Knochen, also ein wichtiger Bestandteil unseres Bewegungsapparates, betroffen sind. [1]

Das Multiple Myelom ist eine Blutkrebserkrankung, bei der sich aus weißen Blutkörperchen Krebszellen entwickeln, die sich unkontrolliert im Knochenmark vermehren. Die Krebszellen breiten sich in den Knochen aus und verdrängen die gesunden Immun- und Blutzellen. Darüber hinaus können die Plasmazellen den Knochenstoffwechsel beeinflussen, sodass der Knochenabbau beschleunigt wird. Die Folge können vermehrte Knochenbrüche sein [2].

Die wichtigsten Symptome des Multiplen Myeloms:

  • Knochenschmerzen und -brüche
  • Blutarmut mit Anzeichen wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Luftnot
  • häufige Infektionen
  • Nierenfunktionsstörungen

Was Patient*innen mit einer Krebserkrankung wie dem Multiplen Myelom tun können, um sich die Freude an der Bewegung zu bewahren oder zurückzugewinnen, und wie Bewegung Symptome lindern und die Therapie unterstützen kann, darüber haben wir mit Professor Freerk Baumann gesprochen. Er ist Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin des Universitätsklinikums Köln.

Herr Professor Baumann, Sie forschen seit Jahren zu Bewegung, Sport und Krebs, und sind Mitkoordinator der neuen S3-Leitlinie Bewegungstherapie bei onkologischen Erkrankungen, die voraussichtlich Ende 2025 erscheinen wird. Warum hat Bewegung in der Onkologie heutzutage einen so hohen Stellenwert?

Zunächst ist es wichtig, körperliche Aktivität und Bewegung von Sport zu unterscheiden. Der Begriff „Sport“ ist oft mit Leistung und Druck assoziiert, wir aber wollen Patienten Unsicherheiten nehmen, Chancen zeigen und zu Bewegung motivieren.

Vor ungefähr 25 Jahren war ich weltweit einer der Ersten, der mit Krebspatienten unter einer allogenen Stammzelltransplantation ein gezieltes Ausdauertraining durchgeführt hat. Ich erinnere mich noch, als ich zum ersten Mal mit einem – natürlich desinfizierten –  Fahrradergometer zu einem Patienten gegangen bin: Der schaute mich völlig erschrocken an und sagte: „Ich bin doch schon krank, muss ich jetzt auch noch Sport machen!?“ Doch heutzutage ist Bewegungstherapie ein etablierter Bestandteil der Krebstherapie. Von den vielen komplementären, also ergänzenden Behandlungsmethoden bei Krebs ist die Bewegungstherapie die mit der deutlichsten Evidenz (Anmerkung der Redaktion: studienbelegte Gewissheit) und kann erwiesenermaßen zahlreiche Nebenwirkungen einer Krebstherapie verringern oder sogar vollständig verhindern.

Ich erkläre es meinen Patienten so: Bereits ein bewegungsreicher Alltag kann den Genesungsprozess unterstützen. Nehmen Sie so gut es geht am Leben teil, treffen Sie Familie und Freunde. Versuchen Sie, die Treppe zu nehmen, anstatt mit dem Fahrstuhl zu fahren, oder gehen Sie im Park spazieren. Es sind eben auch die kleinen, alltäglichen Dinge, die helfen können. Ganz grundsätzlich gilt: Bewegung und körperliche Aktivität ergänzen die medizinische Therapie optimal und können bei Krebs erwiesenermaßen eine ganze Reihe von Nebenwirkungen einer Therapie verringern und Symptome lindern.

 

Was sind die neusten Erkenntnisse zum Multiplen Myelom?

Wir befinden uns gerade in einer sehr spannenden Phase der Bewegungstherapie beim Multiplen Myelom. Früher war Patienten mit Knochenmetastasen oder instabilen Knochen zu viel Bewegung nahezu verboten, weil man dachte, dass durch Bewegung die Knochen brechen könnten. Heute sehen wir das anders. Wir arbeiten an neuen Strategien, wie dem sogenannten Impact- und Vibrations-Training. Mit diesen Methoden wollen wir zum einen die Knochen, die noch nicht vom Multiplen Myelom betroffen sind, gezielt stabilisieren und vor dem Abbau schützen. Zum anderen wollen wir die Rückbildung der befallenen Knochenstrukturen aufhalten und einen neuen Knochenstoffaufbau anregen.

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Würzburg. Quelle Abbildung: https://www.ukw.de/aktuelle-meldungen/detail/news/springen-und-stampfen-fuer-starke-knochen/ © UKW / Daniel Peter©]
Mit freundlicher Genehmigung der Universität Würzburg. Quelle Abbildung: https://www.ukw.de/aktuelle-meldungen/detail/news/springen-und-stampfen-fuer-starke-knochen/ © UKW / Daniel Peter©]

Impact-Training

Das Impact-Training in Kombination mit dem Vibrationstraining, ist eine innovative Methode speziell für Patient*innen mit Multiplem Myelom. Sie wurde am Uniklinikum Würzburg in Kooperation mit Professor Baumann entwickelt und wird zurzeit weiter erprobt. Es ist eine besondere Art des Krafttrainings, bei der die Patient*innen unter medizinischer Anleitung u.a. stampfen, hüpfen und springen. Trainiert wird zwei- bis dreimal wöchentlich für ca. 30 Minuten.

Ziel ist es, die Knochen regelmäßig Reizen auszusetzen, um den Wiederaufbau zu fördern und neue Risse oder Brüche zu vermeiden. Außerdem hält das Training fit, stärkt die Muskulatur und verbessert die Beweglichkeit. 

Beim Multiplen Myelom können nicht nur Knochenschmerzen und Fatigue auftreten, sondern auch Knochenbrüche. Was raten Sie Patient*innen, die vielleicht das Selbstvertrauen verloren haben und ängstlich sind?

Wir zeigen Patienten in solchen Situationen anhand von Beispielen, dass körperliche Bewegung korrekt durchgeführt keinen Schaden, sondern Nutzen für Ihren Körper bringt und wie Bewegung die Bruchgefahr von Knochen reduzieren kann. In der Bewegungstherapie arbeiten wir Hand in Hand mit den betreuenden Ärzten zusammen und klären selbstverständlich auch körperliche Einschränkungen ab. Wir wollen ja niemanden überfordern, sondern langsam an die möglicherweise ungewohnte Aktivität heranführen. Sollten Begleiterkrankungen vorliegen, beziehen wir auch Fachärzte aus anderen Gebieten mit ein. Somit ist die Bewegungstherapie individuell auf die jeweilige körperliche Verfassung abgestimmt, damit sicher und wir begleiten die Menschen eng auf ihrem Weg.

Aber auch ohne eine gezielte Betreuung kann man mit Bewegung viel erreichen: Behalten Sie Ihre Alltagsaktivitäten so gut es geht bei. Spaziergänge, Nordic Walking, Stufentraining und moderates Krafttraining an Geräten kann die Muskulatur stärken, ohne den Körper und die Knochen zu sehr zu beanspruchen. Sollten Sie unsicher sein, welche Aktivitäten für Sie in Frage kommen, sprechen Sie mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin. Es gibt auch auf Krebserkrankungen spezialisierte Sport- oder Physiotherapeuten.

 

Sind neue Therapien wie zum Beispiel das Impact-Training bereits ein Standard, der allen Patient*innen mit Multiplem Myelom offensteht?

Leider können wir die Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie, kurz OTT, in Deutschland noch nicht flächendeckend anbieten. Doch natürlich wollen wir das langfristig erreichen. Darum bilden wir im Centrum für Integrierte Onkologie hier in Köln Sport- und Physiotherapeuten zu OTT-Therapeuten aus. Diese können dann in ihrer Praxis zusammen mit ihren Patienten ein gezieltes, individuelles Bewegungstraining ausarbeiten.

Mein Tipp: Sollten Sie noch keine qualifizierten OTT-Therapeuten in Ihrer näheren Umgebung haben, sollte Sie das nicht von körperlicher Bewegung abhalten. Sie können Ihre Mobilität gut durch Alltagsaktivitäten fördern oder eigenständig ein moderates Training durchführen. Damit machen Sie nichts verkehrt, sondern Sie können viel erreichen. Denn der größte Fehler beim Bewegen ist, es nicht zu tun!

Weitere Informationen

Mehr zum Thema Bewegungstherapie bei einer Krebserkrankung sowie eine interaktive Landkarte, die Ihnen bei der Suche nach zertifizierten OTT-Therapeut*innen in Ihrer Nähe hilft, finden Sie auf der Webseite des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) des Universitätsklinikums Köln: https://cio.uk-koeln.de/

Dem Krebs die Stirn bieten

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO zählt Krebs derzeit noch zu einer der häufigsten Todesursachen weltweit. Und mit der immer älter werdenden Bevölkerung nimmt leider auch die Zahl der bösartigen Tumorerkrankungen kontinuierlich zu. Dementgegen stehen allerdings die immer bessere Früherkennung sowie viele innovative Therapien, die zu einer erfolgreichen Bekämpfung der Erkrankung beitragen. So muss die Diagnose Krebs heute nicht zwangsläufig zum Tod führen.

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Referenzen

[1] Die blauen Ratgeber Bewegung und Sport bei Krebs der deutschen Krebshilfe; https://www.krebshilfe.de/infomaterial/Blaue_Ratgeber/Bewegung-und-Sport-bei-Krebs_BlaueRatgeber_DeutscheKrebshilfe.pdf
[2] Patientenleitlinie Multiples Myelom; https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Patientenleitlinien/Patientenleitlinie_Multiples_Myelom_169v100.pdf

MAT-DE-2403189-1.0-08/2024