Dr. Fabrizio Guidi, Vorsitzender der Geschäftsführung von Sanofi in Deutschland, im Interview über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung und Innovationen im Gesundheitsbereich.
Herr Guidi, welche Chancen sehen Sie durch die Digitalisierung und zum Beispiel den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Big Data im Gesundheitsbereich?
Das größte Potenzial liegt aus meiner Sicht in der personalisierten und präventiven Medizin. Durch die Paarung von Big Data und Künstlicher Intelligenz können wir große Datenmassen analysieren und Muster in Datensätzen erkennen. Das ermöglicht eine effizientere Suche nach Wirkstoffen und Entwicklung von Arzneimitteln. In der Diagnostik wiederum können künstlich intelligente Systeme und selbstlernende Algorithmen Befunde analysieren sowie Korrelationen und Auffälligkeiten erkennen. Dadurch sinkt die Fehlerquote bei der Diagnose, während die Genauigkeit der Therapie steigt. Klar ist aber, dass diese Systeme den Mediziner nicht ersetzen, sondern ergänzen. Auch das Monitoring wird immer besser. Durch Apps oder das Tragen von Wearables können Körperdaten live gemessen und ausgewertet werden. Für die Medizin und Gesundheitsforschung heißt das, dass wir zukünftig Krankheiten besser verstehen, sie frühzeitig erkennen oder sie sogar vorhersagen können. Durch diese personalisierte Medizin kann die Patientenversorgung optimiert und die Gesundheitskosten gesenkt werden.


Für die Medizin und Gesundheitsforschung heißt das, dass wir zukünftig Krankheiten besser verstehen, sie frühzeitig erkennen oder sie sogar vorhersagen können.
Dr. Fabrizio Guidi, Vorsitzender der Geschäftsführung von Sanofi in Deutschland
Wie digital ist Sanofi schon aufgestellt?
In einigen Bereichen sind wir schon sehr digital, in anderen weniger. Aber die Digitalisierung zieht sich bei uns bereits durch die gesamte Wertschöpfungskette. In der Forschung und Entwicklung setzen wir bereits auf Datenmaschinen. Früher lief der Prozess der Suche nach neuen Wirkstoffen noch praktisch händisch, und wir mussten uns auf vielleicht 30 bis 50 Wirkstoffkandidaten begrenzen. Heute parallelisieren wir die Prozesse und in Roboteranlagen laufen 10.000 dieser Tests gleichzeitig. In der Produktion in Frankfurt setzen wir in Richtung kollaborative Robotertechnologie zudem auf sogenannte Cobots. Sie unterstützen die Mitarbeiter bei monotonen Tätigkeiten, die in hoher Präzision ausgeführt werden müssen. Und dass KI und Daten in der Gesundheitsforschung mittlerweile einen hohen Stellenwert einnehmen, zeigt unsere neue Kooperation mit Google. Gemeinsam werden wir ein virtuelles Innovationslabor einrichten und dabei Datentechnologien nutzen, um Krankheiten besser zu verstehen und Erkenntnisse über Patienten zu gewinnen. Das wird es Sanofi ermöglichen, individuellere Behandlungsansätze zu erforschen und zu entwickeln.
Sie sprechen von personalisierten Lösungen für den Patienten. Dabei spielen digitale Therapieangebote eine immer größere Rolle. Wie aktiv ist Sanofi in diesem Bereich?
Digitale Helfer werden immer wichtiger und können direkt dazu beitragen, Therapie zu verbessern. Sie sind Teil der personalisierten Gesamtlösung der Zukunft. Unser Forschungschef Jochen Maas spricht hier von den 5 D. Ein Beispiel dafür ist das von Sanofi und der Google-Tochter Verily Life Sciences ins Leben gerufene Joint Venture Onduo, das aufgrund der Rahmenbedingungen zunächst nur in den USA läuft. Hier sollen Daten helfen, die Patienten zu verstehen, um ihnen personalisierte Lösungen schneller, individualisierter und kostengünstiger anzubieten. Onduo führt dafür Geräte, Software, Medizin und professionelle Betreuung für ein einfaches und intelligentes Therapie-Management zusammen.

Eine gute Datengrundlage spielt dabei sicherlich eine wichtige Rolle. Wie steht es um die Datenschätze und den Datenschutz in der Gesundheitsindustrie?
Innovation und Datenschutz dürfen sich nicht ausschließen. Klar ist, dass Gesundheitsdaten intime persönliche Informationen sind. Aber das Speichern und Analysieren von möglichst vielen solcher Daten hilft, Krankheiten besser zu verstehen und heilen zu können. Somit ist es nicht nur im Sinne der Wirtschaft und Forschung, sondern vor allem im Sinne der Patienten, wenn anonymisierte Gesundheitsdaten für die Entwicklung individueller Arzneimittel und die Versorgungsforschung zur Verfügung stehen. Die Datenverfügbarkeit ist eine Herausforderung.
In Europa sind Gesundheitsdaten sehr stark fragmentiert, während zum Beispiel in den USA große Institutionen und Unternehmen über sehr große Datenmengen verfügen und mit einheitlichen Standards arbeiten. Das brauchen wir auch hier in Deutschland und Europa. Aber wir machen wichtige Fortschritte. Daher begrüßen wir zum Beispiel die zukünftige Einführung der elektronischen Patientenakte und auch das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn angekündigte Datenschutzgesetz.
Die Digitalisierung im Gesundheitsbereich erfordert bestimmte Rahmenbedingungen. Wie bewerten Sie diese für Deutschland?
Durch die Digitalisierung sowie den Einsatz von KI und Big Data erlebt die Gesundheitsindustrie einen Innovationssprung. Dieses Momentum sollten wir politisch nutzen, um Deutschland und schließlich Europa zu einem wettbewerbsfähigen KI-Standort zu entwickeln. Eine wichtige Weichenstellung ist die Strategie der Bundesregierung zur Künstlichen Intelligenz. Als forschendes Gesundheitsunternehmen freuen wir uns besonders, dass dort auch Schwerpunkte bei der Gesundheitsforschung und Krankheitsprävention liegen. Und ein sehr wichtiger Punkt ist, dass digitale Versorgungsangebote auch den Patienten erreichen. Das heißt, wir brauchen dringend Regelungen für die Erstattung von digitalen Lösungen und einer personalisierten Medizin mit digitalen Elementen. Hinsichtlich dieses Punkts ist das aktuelle Digitale-Versorgungs-Gesetz im Gesundheitsministerium ein Schritt in die richtige Richtung.
Von den 4 zu den 5 D: Medikamente als personalisierte Gesamtlösung
Der aufgeklärte Patient verlangt heute mehr als nur ein Arzneimittel. Er erwartet eine individuelle, auf ihn zugeschnittene Gesamtlösung. Professor Dr. Jochen Maas, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung von Sanofi in Deutschland, bezeichnet die Bereiche der Gesamtlösung als die 4 D, zu denen neben dem Arzneimittel (Drug), die exakte Diagnose (Diagnosis), die entsprechende Applikationshilfe (Device) und – als meist über Algorithmen vermittelte Verbindung von Diagnose und Arzneimittel – die Daten (Data) zählen. Sind Diagnosis, Drug, Device und Data wiederum über digitalisierte Verfahren (Digitalisierung) verbunden, sind es nicht nur „4 D“ sondern „5 D“. In der personalisierten Medizin wird ohne eine exakte Diagnose kein passendes Arzneimittel in der jeweiligen für den Patienten richtigen Dosis auswählbar sein. Denn: Ein Großteil der Arzneimittel sind heute bereits Biologika, die oral nicht verabreicht werden können, weshalb ein Device für die Applikation unerlässlich ist. Und um die richtige Dosis auszuwählen, müssen die Algorithmen zwischen Diagnose, Arzneimittel und Device genau definiert sein. So können zukünftig Therapien und Behandlung von Patienten durch die Kombination von Medikamenten mit technologiegetriebenen Lösungen verbessert werden. Heute verfügt allerdings kaum ein Unternehmen weltweit über die Expertise in all diesen vier bzw. fünf Bereichen, was eine deutliche Intensivierung von Kooperationen zwischen Akademia, Unternehmen und Start-ups erfordert. Sanofi ist hier auf einem guten Weg. Der Sanofi-Forschungs-Hub in Frankfurt kooperiert weltweit mit rund 50 Partnern aus unterschiedlichen Bereichen von Akademia bis zu Unternehmen.

Die 5 D am Beispiel Diabetes

Standort Gesundheit
Das Interview mit Dr. Fabrizio Guidi stammt aus der Oktober-Ausgabe von „Standort Gesundheit“. Lesen Sie hier die gesamte Ausgabe mit Themen aus Politik und Unternehmen.
Header-Foto: Sanofi