Die Technologie hinter digitalen Währungen könnte das Vertrauen in den verschiedensten Bereichen revolutionieren, von den Ergebnissen klinischer Studien bis hin zum Kampf gegen gefälschte Arzneimittel

Biopharma-Unternehmen sind auf starkes Vertrauen im Umgang mit allen anderen Stakeholdern im Gesundheitswesen angewiesen. Wie alle Branchenteilnehmer müssen sie sich zum Beispiel darauf verlassen können, dass Daten aus klinischen Versuchen genau sind, und in der Lage sein, die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen transparent darzustellen. Darüber hinaus durchlaufen Arzneimittel lange und komplexe Vertriebsketten, in denen ihre Echtheit gewährleistet werden muss, weil immer mehr Fälschungen in Umlauf gebracht werden. Patienten und Kostenträger verlangen mehr Transparenz, weil ihnen daran gelegen ist, das Vertrauen im Gesundheitswesen insgesamt zu stärken.

Doch schon das schiere Volumen der Daten, die im Gesundheitswesen heute technologisch bedingt anfallen und weitergegeben werden, belastet das Vertrauen und schränkt die Transparenz erheblich ein. Die Lösung könnte eine neue Technologie bringen, die für einen ganz anderen Zweck entwickelt wurde: die Blockchain.

Die Blockchain-Technologie ist die Grundlage für digitale Währungen wie Bitcoin. Sie ermöglicht anonymen Teilnehmern sichere und private Transaktionen über ein offenes oder sogar öffentliches Netzwerk. Das grundlegende Konzept eröffnet vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, bei denen es auf gegenseitiges Vertrauen und Verifizierung ankommt, auch im Gesundheitswesen.

„Bei der Blockchain geht es tatsächlich um die Industrialisierung des Vertrauens. Im Healthcare-Sektor bietet sich die Anwendung dort an, wo vertrauenswürdige Transaktionen zwischen zwei Seiten zugelassen werden sollen – in allen möglichen Bereichen von der Nachverfolgung von Arzneimitteln über die Verwaltung von Verträgen bis hin zur Pharmakovigilanz und Erfahrung für die Patienten.“
Milind Kamkolkar, Chief Data Officer von Sanofi

Die Blockchain wird bereits in verschiedenen Pilotprojekten genutzt, bei denen es etwa um die Analyse von Gesundheitsdaten, die Sicherheit medizinischer Geräte oder elektronische Patientenakten geht. Darüber hinaus könnte die Technologie für viele weitere Zwecke eingesetzt werden, von effizienteren klinischen Versuchen und der schnelleren Zulassung neuer Behandlungsformen bis hin zur Eindämmung von Arzneimittelfälschungen und höherer Kostentransparenz. Sie hat das Potenzial, die gesamte Branche zu verändern.

„Eine neue Phase des wirtschaftlichen Wettbewerbs bahnt sich an – mit Vertrauen und Transparenz als wesentlichen Differenzierungsfaktoren. Dabei handelt es sich um eine Ära, in der Partner, Regulierungsbehörden, Kostenträger und Patienten sich auf eine Technologie verlassen können, die ihnen die gewünschten Informationen über ein Arzneimittel oder ein Unternehmen liefert. Jedes Unternehmen ist mit dem Risiko konfrontiert, durch eine vertrauenswürdige Alternative ersetzt zu werden.“
Richie Etwaru, Zukunftsforscher und Chief Digital Officer von IQVIA, einem Unternehmen für Analysen im Gesundheitswesen

Funktionsweise

Bei der Blockchain-Technologie werden Informationen in diskreten Einheiten, den sogenannten Blöcken, gespeichert. Dies können Daten nahezu jeder beliebigen Art sein – von den Preisen und Sicherheitsinformationen für Arzneimittel bis hin zu persönlichen Gesundheitsdaten einzelner Patienten. Entscheidend bei der Technologie ist, dass Sicherheit, Datenschutz und Identität in jeden Block eingebaut sind. Informationen können gemeinsam genutzt werden und sind vertrauenswürdig, lassen jedoch denjenigen anonym bleiben, der mit den Daten verknüpft ist.

Die Blöcke sind miteinander verbunden und bilden so die Glieder einer „Kette“ von Daten. Es ist praktisch unmöglich, die Informationen in einem Block zu ändern, ohne alle anderen Kettenglieder zu ändern. Zudem gibt es viele Kopien der Kette, die auf Servern im Netz abgelegt sind und immer auf dem neuesten Stand gehalten werden: Jeder Versuch, die Daten zu hacken, würde erkannt und abgewehrt.

„Dies ist globale Wahrheit im globalen Maßstab“, wie es Richie Etwaru formuliert.

Weil die Genauigkeit der Daten in einem Block garantiert werden kann und sie gleichzeitig vor neugierigen Blicken geschützt sind, bietet sich die Technologie für die Speicherung und den Austausch sehr sensibler und wertvoller Informationen an. So eignet sie sich ideal für die Verwaltung personenbezogener Daten im Gesundheitswesen, die großes Vertrauen auf verschiedenen Seiten voraussetzt.

Die Technologie ist schnell fortgeschritten, seitdem sie vor einigen Jahren erstmals eingesetzt wurde, merkt Richie Etwaru an. Heute gibt es gemeinnützige Stiftungen und Konsortien, die standardisierte Blockchain-Netzwerke für viele verschiedene Zwecke aufbauen, teilweise mit eigenen Programmiersprachen, die erheblich größere Flexibilität bieten als die früheren Plattformen für digitale Währungen.

Von Transaktionen zu Therapien

Eine der ersten Anwendungen der Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen wird der Aufbau einer Vertrauensumgebung zwischen Partnern, Gesundheitsbehörden und Patienten sein, erklärt Remi Chossinand, Leiter des Digital Clinical Solution Center bei Sanofi.

So kann die Blockchain wesentlich zum Wachstum „wertbasierter“ Leistungsverträge im Healthcare-Bereich beitragen, bei denen die Teilnehmer zum Beispiel nach Behandlungserfolgen bezahlt werden. Dies sind häufig komplexe Verträge, die einen sicheren Austausch sensibler Informationen erfordern, bei dem gleichzeitig der Datenschutz gewährleistet sein muss – eine ideale Aufgabe für die Blockchain. Mit dieser Technologie können alle Teilnehmer vertrauensvoll die für die Vertragserfüllung erforderlichen Informationen unter sich austauschen.

Ende letzten Jahres investierte Sanofi Ventures in das Technologieunternehmen Curisium aus Manhattan Beach in Kalifornien, das eine Blockchain-basierte Plattform genau für diesen Zweck entwickelt. In Verbindung mit sicheren Rechentechnologien können Kostenträger, Gesundheitsdienstleister und Life-Science-Unternehmen auf dieser Plattform wertbasierter Verträge automatisiert verwalten, bei denen die Patienten im Mittelpunkt stehen.

Das Vertrauen, das die Technologie gewährleistet, könnte sich auch im Kampf gegen gefälschte Arzneimittel als sehr vorteilhaft erweisen.

Der Handel mit gefälschten oder verfälschten Medikamenten breitet sich nahezu epidemisch aus: Die Weltgesundheitsorganisation WHO berichtete im November, dass in Entwicklungsländern jedes zehnte Medikament gefälscht oder minderwertig ist. Das Problem hat sich in den letzten zehn Jahren verschärft. Auch wenn Entwicklungsländer stärker betroffen sind, hat es weltweit schwerwiegende Konsequenzen bis hin zur Lebensgefahr für Patienten, wenn das gefälschte Arzneimittel den versprochenen Wirkstoff nicht oder in zu geringer Menge enthält.

Mit der Blockchain-Technologie könnte ein System entwickelt werden, das den Weg eines Medikaments von der Produktion bis zum Patienten nachverfolgt. Wenn staatliche Gesundheitssysteme, Apotheken und Patienten Zugang zu diesen Informationen haben, könnten gefälschte Arzneimittel nicht mehr so leicht unerkannt ihren Weg bis zum Patienten finden. Dies würde allen Akteuren in der Lieferkette auch helfen, strengere gesetzliche Bestimmungen wie den Drug Supply Chain Security Act in den USA einzuhalten.

„Wir können bereits die Bildung von Konsortien beobachten, die dieses Problem anpacken“, sagt Milind Kamkolkar.

Bessere klinische Studien

Klinische Versuche sind ein weiterer wichtiger Bereich des Gesundheitswesens, in dem es entscheidend auf Vertrauen ankommt. Studien produzieren nicht nur eine große Menge an Daten – darunter sensible Patientendaten und geschützte Informationen –, sondern nicht selten wirken daran auch viele verschiedene Partner mit komplexen Leistungsanforderungen mit. Die Blockchain-Technologie könnte hier sicherstellen, dass die notwendigen Daten erfasst und bei Bedarf weitergegeben werden. Der Schutz sensibler Patientendaten oder firmeneigener Informationen wäre aber gewährleistet. Remi Chossinand zufolge könnte dies die Kosten sinken und die Effizienz steigen lassen.

Nützlich wäre die Technologie möglicherweise auch bei klinischen Studien zu seltenen Erkrankungen mit sehr begrenzten Patientenkollektiven. So wäre es denkbar, dass ein Konsortium von Pharmaunternehmen gemeinsam Patienten in eine Kohorte für klinische Studien aufnimmt und auf die gleiche Placebo-Kohorte zurückgreift. Die Blockchain könnte für den Datenaustausch genutzt werden und gleichzeitig für die Vertraulichkeit sorgen, die bei einer kontrollierten randomisierten klinischen Doppelblindstudie unerlässlich ist. Dieser neue Ansatz würde die Arzneimittelentwicklung beschleunigen, und Therapien würden so schneller bei den Patienten ankommen.

„Wenn wir die Blockchain-Technologie nutzen, um einige Informationen mit anderen Studien auszutauschen, und gemeinsam mit unseren Mitbewerbern arbeiten, kann dies die Entwicklungskosten effektiv aufteilen.“
Remi Chossinand, Leiter des Digital Clinical Solution Center bei Sanofi

Veränderte Beziehung der Patienten zu ihren Daten

Die Blockchain-Technologie könnte letztlich auch als Grundlage für elektronische Gesundheitsakten genutzt werden. Ein wichtiger Unterschied zu den derzeit gebräuchlichen Technologien wäre dabei, bei wem die Kontrolle über die Daten im Datensatz liegt.

Die Blockchain könnte die Beziehung zwischen Patienten und Kostenträgern oder Forschern verändern, indem sie den Patienten mehr Kontrolle über ihre Gesundheitsinformationen gibt und Nutzungsrechte daran verleiht. Die Daten in ihren Datensätzen können wichtig sein, um Kosten zu prognostizieren, Behandlungsergebnisse zu verstehen oder potenzielle Kandidaten für klinische Studien zu erkennen, und es wäre vorstellbar, dass Firmen für den Zugang zu diesen Informationen bezahlen.

„Man kann es so einrichten, dass die Block-ID dem Patienten gehört und die Daten zu seinen Daten werden“, erklärt Milind Kamkolkar. „Dies lässt einen neuen Handel entstehen: Patienten können Geld für ihre Informationen verlangen.“

Am Horizont

„Sanofi prüft neben der Investition in Curisium auch die Möglichkeit, die Blockchain-Technologie in verschiedene Bereiche des Unternehmens zu integrieren“, ergänzt Milind Kamkolkar. Sie würde damit zu einem weiteren Element der umfassenderen Digitalstrategie des Unternehmens werden, die IT-Innovationen enger mit der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung sowie dem Betrieb verbinden soll.

„Wir befinden uns noch in einer frühen Phase der Entwicklung dieser Technologie und ihrer Anwendung im Gesundheitswesen“, räumt Remi Chossinand ein. „Ich würde sie aber sehr gerne testen.“

Es gilt das englische Original: https://mediaroom.sanofi.com/en/articles/2018/blockchain-the-next-digital-platform-in-biopharma/